Dass der Drang zur Veränderung groß ist und die großen Herstellenden beim Tempo der (möglichen) Transformation nicht Schritt halten können, zeigt Bytons Führungsetage. Carsten Breitfeld, CEO und Benoit Jacob, Chefdesigner waren zuvor bei BMW und haben maßgeblich am BMW i8 mitgearbeitet (Severlein, 09.02.2018).
Die Etablierten wollen Schritt halten
Versuche, “State-of-the-art” zu bleiben, gibt es von Seiten der “Alteingesessenen”. Audi hat 99 Fahrzeuge des Modells TT in einer Onlinekampagne verkauft. Diese spezielle Version in der Farbe Quantumgrau war nur über das Internet bestellbar. Nicht nur der Vertrieb, sondern auch die Präsentation des Autos wurden über das Netz gehandhabt. Mithilfe von Augmented-Reality-Brillen wurde den Kund*innen das Fahrzeug nahe gebracht.
Auch wenn 99 verkaufte Cabrios nicht viel sind ‒ Audi verkaufte zwischen Dezember 2018 und Dezember 2019 durchschnittlich ca. 154.000 Autos im Monat (Statista, 2019) ‒ war es ein großes Pilotprojekt für das Ingolstädter Automobilunternehmen. Audi lernte daraus, was möglich und was nötig ist beim direkten (Kauf-)Kontakt mit dem/der Kunden*in (Audi, 27.05.2019).
Die von Audi verwendeten Methoden bei der Fahrzeugpräsentation (wie die Augmented-Reality-Brillen) wirken im Vergleich zu dem, was im stationären Handel meist zu finden ist, wie eine weit entfernte Zukunft.
Ein Überblick über das Autohaus von Heute
Beim herkömmlichen stationären Autohandel ist der Einsatz moderner Kommunikationstechnologien unterrepräsentiert. Die Onlinekanäle sind häufig nur schwach oder nicht ansprechend ausgebaut. Werkzeuge wie Tablets oder Chatbots werden wenig eingesetzt (Institut für Automobilwirtschaft, 2019).
Stattdessen spielen im stationären Autohandel andere Aspekte eine Rolle. Zirka die Hälfte der Einnahmen resultiert aus Tätigkeiten der Unfallinstandsetzung, der Neuwagenverkauf bringt wenig Gewinn. Stattdessen wird Geld vor allem durch Aftersales verdient. Dass sich dieser Bereich in Zeiten neuer Antriebsformen weniger rentabel darstellen könnte, werden wir im späteren Verlauf noch genauer betrachten. Die Werkstattauslastung ist laut einer Studie aus “pulsSchlag” von “AUTOHAUS” vom März 2019 im Vergleich zum Vorjahresmärz jedoch bereits zurückgegangen.
Dass die Hersteller in den Neuwagenvertrieb in Zukunft weiter eingreifen werden, sehen 61% der Autohäuser als Konkurrenzfaktor (AUTOHAUS, 2019).
So rechnen Händler*innen laut einer Befragung des Instituts für Automobilwirtschaft damit, dass in 2024 ca. ein Viertel der Fahrzeuge über den Online-Vertriebskanal verkauft werden wird. (Institut für Automobilwirtschaft, 2019).
Die Aktionen von Audi mit dem TT und ähnliche Maßnahmen anderer Hersteller sind Vorzeichen eines solchen Trends.
Der Untergang des stationären Autohandels: Was dazu beiträgt
Die Proklamation eines Untergangs des stationären Autohandels ist sicherlich drastisch. Gewisse Anlaufpunkte vor Ort wird es auch in den nächsten Jahrzehnten noch geben. Dennoch verheißen einige Punkte eine umfassende Veränderung der bestehenden Verhältnisse.
Digitalisierung und Mobility as a Service
Viele herstellende Unternehmen haben es nicht rechtzeitig geschafft, in Sachen neuer digitaler Möglichkeiten auf die linke Spur zu wechseln. Diesen Rückstand wollen sie nun aufholen. Andere hingegen nutzen und erweitern den neuen Rahmen des technologisch machbaren. Themen, die die Autobranche auf den Kopf stellen.
Digitalisierung als Wegbereiter zum autonomen Fahren ‒ Folgen für den stationären Autohandel
Megatrends wie die Digitalisierung verändern die Automobilindustrie und deren Produkte und damit den stationären Autohandel. Umfangreiche Sicherheits- und Assistenzsysteme sind in den allermeisten neuverkauften Fahrzeugen Standard. Mit diesen übernimmt das Fahrzeug beispielsweise das Einparken, regelt die Geschwindigkeit im Stau automatisch oder wechselt selbstständig die Spur.
Zwar wird es bis zum vollautonomen Fahren vermutlich noch ein paar Jahrzehnte dauern ‒ woran übrigens vor allem die Infrastruktur Schuld ist (Prognos, 2018) ‒ doch ein klarer Trend hin vom Fahrenden zum Beifahrenden ist zu erkennen.
Dies wird nicht nur auf die Produktion der Fahrzeuge Auswirkungen haben. Auch im Bereich Aftersales haben (teil-)autonome Mobile das Potenzial, für die Kund*innen deutliche Einsparungen zu realisieren. Einer Berechnung der Ersten Bank Österreich zufolge reduziert autonomes Fahren in Verbindung mit Elektromobilität den Bedarf an Reparaturen und Wartung um bis zu 76% gegenüber herkömmlichen Verbrennern (Erste Bank Österreich, 02.08.2020).
Die Gründe liegen unter anderem darin, dass autonome Fahrzeuge deutlich weniger unfallgefährdet sind als Fahrzeuge mit menschlichen Fahrzeugführer*innen. Der Faktor Mensch ist im Straßenverkehr der größte Risikofaktor.
Sollte sich autonomes Fahren verbreiten ‒ und so scheint es ‒ wäre dies mit erheblichen Folgen für den stationären Autohandel verbunden. Dafür spricht, dass die Umsatzgenerierung vor allem über die Aftersales-Phase geschieht, wie wir bereits beschrieben haben. Eine Anpassung des Geschäftsmodells müsste her ‒ in engem Austausch mit den Herstellern
Wertvolle Güter – Wieso Hersteller an die Daten wollen
Viele Umstellungen im Autohandel sind auf die Firmen zurückzuführen, die die Autos bauen, wobei es im Endeffekt vor allem um eines geht: Daten. Daten sind wertvolle Güter, die, richtig ausgewertet und genutzt, attraktive Potentiale bieten. Im Mobilitätsbereich liegen diese Daten in der Fahrzeugnutzung selbst oder dem Mobilitätszweck. Der Mobilitätszweck gibt an, für welche Fahrten das Fahrzeug genutzt wird (IT Verlag für Informationstechnik, 01.01.2020)
Automobilunternehmen rüsten sich mit dem Erheben und der Analyse von Daten für eine Zukunft ohne bzw. mit weniger Autos. BMW und Daimler arbeiten in Form des Carsharingunternehmens “SHARE NOW” zusammen, VW setzt mit “WeShare” auf rein elektrisch angetriebenes Carsharing. Der Trend geht in Richtung “Mobility as a Service”, wie auch pwc zu erkennen glaubt und prognostiziert, dass in großen Märkten wie Europa oder USA langfristig 25 Prozent weniger Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein werden (PwC, 11.09.2017).
Mit den erhobenen Daten kann das herstellende Unternehmen Prozesse der Leistungserstellung verbessern und genauer auf Kund*innenwünsche und -verhaltensweisen eingehen. Die Daten über die Mobilitätsgewohnheiten werden mithilfe der Apps der Anbieter*innen gewonnen. Ebenso werden neue Geschäftsfelder erschlossen, die bei langfristig rückläufigen Verkaufszahlen von Automobilen das Überleben der “Großen” sichern könnten.
Da Autohäuser solche Apps meist nicht anbieten oder die bestehenden Daten nicht zureichend ausgewertet werden, können sie einen solchen Vorteil nicht realisieren. Die Hersteller sehen von diese Daten bisher nichts. Ein direkter Vertriebsweg gäbe den Autobauern die Chance, sie zu analysieren und zu nutzen ‒ im großen Stil. Dass in Autohäusern aus existierenden Daten noch zu wenig gemacht wurde, liegt an fehlender Expertise und dem geringeren Anwendungsspektrum. Erst bei einer großen Zahl an Daten ‒ wie sie den Herstellern vorliegt ‒ können aus einer Analyse Schlüsse gezogen werden.